Queerness in Bildungsmedien

5 Fragen an Riem Spielhaus

Riem Spielhaus

Passen die Inhalte aktueller Schulbücher eigentlich noch in die heutige Zeit? Diese Frage stellen wir Prof. Riem Spielhaus, Leiterin der Abteilung „Wissen im Umbruch“ des Georg-Eckert-Instituts für Bildungsmedien im Kurzinterview. Denn durch Schulbücher werden Weltbilder, gesellschaftliche Werte und Regeln an die nächsten Generationen weitergegeben. Aber geben sie auch unsere aktuelle Realität realistisch wider, beispielsweise in Bezug auf queere Diversität in unserer Gesellschaft? Das erforscht Riem Spielhaus in ihrem BMBF-geförderten Projekt, aus dem sie im Interview berichtet.

Hier finden Sie das Interview in Schriftform

Herzlich Willkommen Riem Spielhaus, ich freue mich, dass Sie mir heute Rede und Antwort stehen!

Spielhaus: Ja, hallo, ich freu mich auch!

PT: Sie analysieren Schulbücher und Lehrpläne mit dem Fokus auf die Darstellung von Familie, Partnerschaft und Sexualität – wo müssen wir aus Ihrer Sicht nachsteuern?

Beim gesamten Prozess, das heißt bei der Lehrplanentwicklung, der Erarbeitung und Gestaltung von Bildungsmedien und bei der Lehrkräfteaus- und -fortbildung eigentlich. Also wir beobachten, dass in Schulbüchern Darstellungen von traditionellen Kleinfamilien, von heteronormativen Partnerschaften und Beziehungen zwischen Männern und Frauen stark überwiegen. Den aktuellen Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft entsprechend wäre aber auch eine Gestaltung der Schulbücher wichtig, in denen unterschiedliche Familienkonstellationen, wie sie eben heute in Deutschland vorkommen, abgebildet werden.

PT: Können Schulbücher überhaupt noch aktuell sein und unsere Lebensrealität widerspiegeln?

Na das ist nicht ganz einfach, aber dennoch sollten sie es versuchen. Gewisse Verzögerungen in der Implementierung der aktuellen gesellschaftlichen Debatten oder etwa der aktuellen Gesetzeslage lassen sich natürlich nicht vermeiden. Also vor allem, weil Schulbücher ja einen ziemlich langen Entwicklungszyklus haben. Also wir sehen heute noch Schulbücher in den Klassen, die 2010 erschienen sind. Man könnte aber auch solche Verzögerungen im Unterricht selbst reflektieren und die aktuellen Debatten, zum Beispiel auch den Stand der Forschung oder die Änderung von Gesetzeslagen in den Unterricht einbringen – dafür bräuchten die Lehrkräfte aber womöglich auch Unterstützung, die über die Schulbücher hinausgehen, also zum Beispiel durch digitale Unterrichtsmaterialien oder niedrigschwellige Fortbildungen.

PT: Wie sieht aus Ihrer Sicht ein ideales lebensnahes Schulbuch aus?

Naja, in einem idealen Bildungsmedium würden sich alle unhinterfragt wiederfinden können, die würden junge Leute dabei unterstützen, ihre Identität und ihren Lebensentwurf herauszubilden. Ja vielleicht auch Stereotype infrage stellen, sie würden Vielfalt als selbstverständlich abbilden, aber auch Herausforderungen und Konflikte ansprechen, die damit einhergehen können. Sie würden Anlaufstellen nennen, an die man sich auch bei Problemen wenden kann. Zum Beispiel wenn man Diskriminierung erlebt. Ein lebensnahes Schulbuch würde dann auch die Gesetzgebung in Bezug auf Diskriminierung und Maßnahmen zum Schutz davor erwähnen. Und ja, gut wäre es, wenn ein lebensnahes Schulbuch eben auch Diversitäts- und Diskriminierungssensibel sein wird. Wir sehen da aktuell eigentlich noch eine ganze Reihe von Potenzialen. Also auch bei Vermittlung von fundierten Fakten über queere Diversität und Diskriminierung. Oft werden zum Beispiel sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität in Schulbüchern, aber auch in Lehrplänen verwechselt. Informationen darüber, wie man sich gegen Ungleichbehandlung wehren kann und welche gesetzlichen Grundlagen es gibt, die fehlen meist oder sie sind nicht verständlich aufbereitet.

PT: Das sind schon einige Punkte. Und vermutlich ist es ja auch immer noch so, dass eine gewisse Stigmatisierung stattfindet und wir hier einen neuen Status quo brauchen.

Genau und da gibt es schon einige Schulbücher, die versuchen das ganz großartig, die versuchen Einblick zu geben und aus Biographien zu berichten. Da kommen Personen selbst zu Wort und berichten aus ihrer Perspektive. Aber es gibt auch Schulbücher, zum Beispiel aus dem Biologiebereich, die aktuell in Verwendung sind, wo dann eben von Syndromen gesprochen wird, wenn die XY-Chromosomen nicht wie bei der Mehrheit der Menschen verteilt sind. Also wenn es da Doppelungen gibt oder fehlende Chromosomen, dann wird das als Syndrom bezeichnet. Das wird als abnormal oder fast krankhaft beschrieben. Und in anderen Schulbüchern, beziehungsweise in anderen Fächern, zum Beispiel im Ethikunterricht wird das ganz anders aufgegriffen. Eben als eine gesellschaftliche Frage, mit der man hier im Kontext von Vielfalt umgehen kann. Das heißt, dass man sich auch gegenseitig auf die anderen Fächer beziehen müsste in den Schulbüchern, damit dann da auch Kontinuitäten sichtbar werden für die Schülerinnen und Schüler.

PT: Können Schulbücher dazu beitragen, dass unsere Schulen insbesondere im Hinblick auf queere Vielfalt inklusiver werden?

Das ist in der Forschung total umstritten, ob und welche Wirkung denn überhaupt Schulbücher haben. Sie stehen ja immer im Kontext anderer Medien und auch möglicherweise in Konkurrenz – heute mit Netflix, TikTok, Instagram und Games, aber an natürlich auch mit dem anderen Unterricht. Aber Jugendliche erhalten ihre Werte auch in der Familie und der Peergroup – also von ihrem sozialen Umfeld, aus Freundschaften. Das heißt Schulbücher werden trotzdem aber von Verlagen und in der Bildungspolitik als besondere Medien verstanden, die einen gesellschaftlichen Konsens an die nächste Generation vermitteln.

PT: Welche einfachen Mittel gibt es, um im Unterricht für mehr Diversität zu sorgen?

Einfach ist das alles nicht würde ich sagen. Aus unserer Sicht stellt sich die Frage, wie Unterricht eigentlich diverser gestaltet werden kann, damit junge Menschen sich bei der Suche nach Ihrem Lebensweg unterstützt und begleitet fühlen. Diversität ist ja bereits längst da, das heißt man könnte sie höchstens sichtbar machen und noch mal thematisieren. Das Wichtige ist aus unserer Sicht dabei, dass man dabei wertschätzend bleibt und nicht abgewertet wird. Dass mit der Diversität gearbeitet wird und da liegen momentan die Potenziale, wie auch die Kultusministerkonferenz in Ihren Empfehlungen feststellt. Aus unserer Sicht könnte es mehr Schulungen für Lehrkräfte geben, sodass Diversität im Kollegium thematisiert und etabliert wird. Für Schulbücher und den Unterricht gilt dann die Frage nach der inklusiven Sprache und wie können eigentlich Diskriminierung und Ungleichbehandlung thematisiert werden, ohne dass man Jugendliche noch auf die Idee bringt andere auszugrenzen. Das ist wirklich nicht ganz einfach für die Lehrkräfte, die haben da eine riesen Aufgabe und daher auch unser Plädoyer, sie dabei zu unterstützen. Ob nun mit didaktischen Vorschlägen, mit Schulungen oder auch mit der Beratung, vielleicht auch im jeweiligen lokalen Kontext damit umzugehen. Wir wissen ja, dass die Debatten in Großstädten und auf dem Land ganz unterschiedlich laufen, da muss man sich als Lehrkraft natürlich auch drauf einstellen können.

PT: Vielen Dank für diesen spannenden Einblick. Da wird auch noch ganz viel kommen bei Ihnen aus dem Projekt, das nächste ist Ihre Lehrplananalyse.

Spielhaus: Vielen Dank ebenfalls, wir hoffen, dass es gut weitergeht!

PT: Ganz sicher, das ist ein sehr spannendes und wichtiges Thema.

Wir haben Ihr Interesse geweckt? Dann klicken Sie gerne auf den Link unter dem Interview auf unserer Website, um mehr über das Projekt und das Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung zu erfahren. Bis zum nächsten Mal bei 5 Fragen an…!