Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte unterstützen

Wie das gelingen kann, hat ein Forschungsteam im Projekt „Stereotype Threat als Ursache niedriger Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem“ aufgedeckt

Wissen aus der Bildungsforschung: So können Lehrkräfte zu besseren Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte beitragen

BMBF | Illustration by pch.vector on Freepik

Lehrkräfte können die Leistungen ihrerSchülerinnen und Schüler durch ihr Handeln beeinflussen:  Wenn Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte daran erinnert werden,      dass sie zu einer ethnischen Gruppe gehören,      der man schlechte Leistungen nachsagt,     oder dass ihre Erstsprache nicht Deutsch ist,  schneiden sie teilweise in Klassenarbeiten schlechter ab.

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Hier wirken sogenannte negative Stereotype, die die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mindern. Was sind negative Stereotype? Wenn wir bestimmten Personengruppen pauschal negative Charakteristiken,Eigenschaften und Verhaltensweisenzuordnen, sind das negative Stereotype.Individuelle Unterschiede einzelnerGruppenmitglieder bleiben dabei außer Acht. Ein Beispiel für ein negativesStereotyp ist die Zuschreibung, dassMädchen schlecht in Mathematik sind.

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Einige Schülergruppen sind besonders anfällig dafür, dass sich negative Stereotype auf ihre Leistungen auswirken.  Zum Beispiel diejenigen, die sie sich stark mit der ethnischen Gruppe oder mit dem negativ stereotypisierten Leistungsbereich identifizieren.

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Tipps für Lehrkräfte: Lehrkräfte sollten (ethnische) Gruppen weder positiv noch negativ kommentieren. Sätze wie: „Asiatische Schülerinnen und Schüler sind gut in Mathematik“ sollten sie vermeiden.   Es ist hilfreich, den Leistungsdruck abzubauen, indem Lehrkräfte Prüfungssituationen nicht explizit betonen.  Lehrkräfte sollten allen Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass sie ihre Leistungen beeinflussen können. Die Botschaft sollte sein: Jeder Mensch kann seine Kompetenzen weiterentwickeln und trainieren.    Und: Anstrengung lohnt sich. Denn der Glaube an veränderbare Fähigkeiten schützt Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund davor, schlechtere Leistungen aufgrund negativer Stereotype zu erzielen.

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Im BMBF-geförderten Projekt „Stereotype Threat als Ursache niedriger Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem“ haben Prof. Sarah Martiny und ihr Forschungsteam ein Experiment mit deutsch- und türkischstämmigen Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Die Hälfte wurde vor Klassenarbeiten mit einem negativen Stereotyp hinsichtlich der Leistungen von Kindern mit türkischer Migrationsgeschichte konfrontiert - die andere Hälfte nicht. Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler mit türkischer Migrationsgeschichte schneiden in Tests teilweise schlechter ab, wenn sie vorher an ihre Zugehörigkeit zu einer negativ bewerteten Gruppe erinnert werden.

Das Forschungsteam hat außerdem aufgedeckt, dass deutsche Lehramtsstudierende Schülerinnen und Schüler mit türkischer Migrationsgeschichte negativer stereotypisieren und stärker für ihre Schwierigkeiten im deutschen Bildungssystem verantwortlich machen als Schülerinnen und Schüler mit italienischer Migrationsgeschichte.

Die Wissenschaftlerinnen befragten in ihrem Forschungsprojekt insgesamt 189 Lehramtsstudierende anhand von drei Fragebogenuntersuchungen zu ihren Einstellungen gegenüber Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte. Darüber hinaus nahmen über 2.500 deutsch- und türkischstämmige Schülerinnen und Schüler an Leistungstests teil.

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung gefördert.

Mehr Informationen über das Projekt finden Sie hier im Themenfinder

Publikationen, die aus dem BMBF-Projekt entstanden sind

  • Froehlich, L., Martiny, S. E., Deaux, K., Goetz, T., & Mok, S. Y. (2016). Being smart or getting smarter: Implicit theory of intelligence moderates stereotype threat and stereotype lift effects. British Journal of Social Psychology, 55(3), 564-587.
  • Froehlich, L., Mok, S. Y., Martiny, S. E., & Deaux, K. (2022). Stereotype threat-effects for Turkish-origin migrants in Germany: Taking stock of cumulative research evidence. European Educational Research Journal, 21(2), 330-354.
  • Martiny, S. E., Froehlich, L., Mok, S. Y. & Deaux, K. (2015). Stereotype Threat als Ursache niedriger Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem
  • Martiny, S.E., & Froehlich, L. (2020). Ein theoretischer und empirischer Überblick über die Entwicklung von Stereotypen und ihre Konsequenzen im Schulkontext. In: Glock, S., Kleen, H. (eds) Stereotype in der Schule. Springer VS, Wiesbaden.
  • Martiny, S. E., Mok, S. Y., Deaux, K., & Froehlich, L. (2014). Effects of activating negative stereotypes about Turkish-origin students on performance and identity management in German high schools. Revue Internationale de Psychologie Ssociale, 27(3), 205-225.
  • Mok, S. Y., Martiny, S. E., Gleibs, I. H., Deaux, K., & Froehlich, L. (2017). The interaction of vertical collectivism and stereotype activation on the performance of Turkish-origin high school students. Learning and Individual Differences, 56, 76-84.

Weitere Quellen

Angewandte Publikationen auf Deutsch:

  • Froehlich, L., Essien, I., & Martiny, S. E. (2022). Stereotype in Kindergärten und Kindertagesstätten: Theoretische Grundlagen, empirische Evidenz und Interventionsansätze für pädagogisches Fachpersonal. Stereotype in der Schule II: Ursachen und mögliche Interventionen. Wiesbaden: Springer.
  • Hermann, J.M. (2022). Interventionen gegen Stereotype Threat: Ein Überblick. In: Glock, S. (eds) Stereotype in der Schule II. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_7
  • Mok, S. Y., Froehlich, L., & Scholz, C. (2015). Leistungsminderung durch negative Stereotype im Schulkontext. Lehren & Lernen, 41, 28-31. ISSN 0341-8294 Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag GmbH.

Studien aus Deutschland und Österreich, die einen Effekt von Stereotypenbedrohung auf Lernen oder Leistung gefunden haben:

  • Sander, A., Ohle, A., McElvany, N. et al. Stereotypenbedrohung als Ursache für geringeren Wortschatzzuwachs bei Grundschulkindern mit Migrationshintergrund. Z Erziehungswiss 21, 177–197 (2018). https://doi.org/10.1007/s11618-017-0763-1
  • Weber, S., Appel, M., & Kronberger, N. (2015). Stereotype threat and the cognitive performance of adolescent immigrants: The role of cultural identity strength. Contemporary Educational Psychology, 42, 71-81.

Studien aus Deutschland, die keinen Effekt von Stereotypenbedrohung auf Lernen gefunden haben:

  • König, S., Stang-Rabrig, J., Hannover, B. et al. Stereotype threat in learning situations? An investigation among language minority students. Eur J Psychol Educ (2022). https://doi.org/10.1007/s10212-022-00618-9

Eine Meta-Analyse zum Thema:

  • Appel, M., Weber, S., & Kronberger, N. (2015). The influence of stereotype threat on immigrants: Review and meta-analysis. Frontiers in Psychology, 6, 900.

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